Sprachatlas - Die deutsche Sprache im Wandel - 3

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Der Deutsche Sprachatlas und das REDE-Projekt – so groß wie die Zahl der archivierten Datensätze ist auch ihr Nutzen: Von der Liebhaberei über die Forschung bis hin zur Verbrechensaufklärung, in Marburg vereinen sich Forschung und Alltag zu einem der spannendsten Projekte der Sprachforschung.
Der Deutsche Sprachatlas arbeitet in der forensischen Spracherkennung immer wieder eng mit dem Bundeskriminalamt zusammen und war bereits an der Lösung von Kriminalfällen beteiligt.
Archiv des Sprachatlasses
    © Steffen Böttcher
    Philipps-Universität Marburg Sprachatlas - Die deutsche Sprache im Wandel

    Was im ersten Moment nach Haarspalterei aussehen mag, hat eine größere Bedeutung: „Für mich ist hier besonders die didaktische Perspektive interessant“, betont die angehende Lehrerin. Denn gerade Dialekte sind oft mit Vorurteilen belastet. Wer sie in der Schule oder an der Universität spricht, gilt oft als ungebildeter als diejenigen, die das sogenannte Hochdeutsch anwenden. „Dabei gibt es kein richtig oder falsch in der Sprache!“, betont Ella Wissenbach. „Ich spreche da lieber von der Angemessenheit in einer Situation.“ So ist es etwa im Gespräch mit Freunden angemessener, „Ich glaub, ich geh heim“ zu sagen als „Ich glaube, ich gehe nach Hause“. Und in einem Bewerbungsgespräch ist es genau umgekehrt. Diese Situationsabhängigkeit müsste eigentlich auch an den Schulen mehr berücksichtigt werden, wie Professor Lameli betont. Der Direktor des Forschungszentrums zieht hierfür ein Beispiel aus dem Hessischen heran: „In den nächsten Wochen schaue ich als die Fußball-WM.“ Das „als“ ist im Hessischen ein völlig normales regionales Merkmal und als solches nicht falsch. Im Aufsatz in der Schule wiederum würde es als Fehler angestrichen werden. „Als Lehrer haben Sie jetzt zwei Möglichkeiten“, erklärt Lameli. „Entweder Sie streichen es als falsch an, oder Sie lassen es stehen. Wir hier am Institut arbeiten an einem dritten Weg.“

    Dieser dritte Weg besteht darin, den Lehrkräften die Bedeutung von regionaler Sprachvarietät klarzumachen: „Das ist nicht falsch, sondern ein richtiges sprachliches Merkmal.“ Die Lehrerin kann nun ihren Schüler beiseite nehmen und ihm erklären, dass er hier keinen Fehler gemacht hat, das „als“ aber situationsunangemessen ist. Unterm Strich, sagt Ella Wissenbach, ist es immer eine Frage des eigenen Kommunikationsziels: „Möchte ich von einem Freund verstanden werden oder bei einem Bewerbungsgespräch kompetent erscheinen?“ Und genau hier setzt wieder die Forschung von REDE an: Wo spreche ich eher Dialekt, wo eher Schriftdeutsch? Wie und wo wird welche sprachliche Variante von wem eingesetzt? Was als großes, archivalisches Forschungsprojekt 1876 von Georg Wenker ins Leben gerufen wurde, ist mittlerweile online für alle zugänglich. Sprache ist lebendig, und hier in Marburg lebt die Forschung mit ihr.

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